Sie wollten ihn nicht bei ihrer Party haben – da stach er zu

Er sitzt in anderer Sache bereits in Haft. Und steht nun wegen versuchten Totschlags vor dem Rottweiler Landgericht: weil er einem anderen mit dem Messer ins den Rücken gestochen haben soll. Um ihn zu töten, weil sie sich gestritten haben, weil er bei einer Party nicht willkommen war. Was ist dieser 19-Jährige für ein Mensch?
Gewelltes Haar, Mittelscheitel, Kinnbart, schüchterner Diana-Blick von unten: So sitzt der junge Mann auf der Anklagebank der Großen Jugendkammer. „Kenzo“ steht auf seinem schwarzen Langarmshirt. Der mittelgroße junge Mann ist gebürtiger Tuttlinger, Familienstand „deutsch“, wie er sagt. Ob es Aufregung ist oder Unvermögen – er missversteht den Richter, scheint zunächst auf die einfachsten Fragen etwa nach seinem Wohnort nicht antworten zu können.
Hussein L. heißt er (alle Namen im Artikel geändert). Im August 2024 soll er ganz anders, gar nicht so einsilbig und zurückhaltend aufgetreten sein. Damals soll er sich als Besucher einer Party aggressiv und aufbrausend gegeben haben, vor allem, als man ihm eröffnet hatte, dass er auf der kleinen Feier nicht willkommen sei. Damals mündete ein zunächst verbaler Streit in einen Messerangriff. Hussein L. soll seinerzeit auf einen 17-Jährigen eingestochen haben, mit dem er in eine an sich unsinnige Auseinandersetzung über die Schwester einer Anwesenden geraten war. Gegen 3 Uhr in einer Nacht auf Freitag war das damals, es geschah in einem Teilort von Hüfingen im Schwarzwald-Baar-Kreis.
Jetzt steht der 19-Jährige vor dem Rottweiler Landgericht, verteidigt von einem Anwalt, der unter der Robe einen Hoodie trägt und seinen Mandanten duzt. Dessen mutmaßliches Opfer hatte damals lebensgefährliche Verletzungen erlitten, die im Krankenhaus versorgt werden mussten.
Wie Hussein L. den Abend schildert, war er zunächst „mit zwei Kollegen“ in Donaueschingen unterwegs, „was essen neben einem Parfumladen“. Dann besuchte er seine damalige Freundin, die habe ihn zum Besuch einer „Hausparty“ in Hüfingen überredet, „und so“. Die Anfahrt erfolgte „mit dem Zug und mit dem Rufbus“. Bis zur eigentlichen Party kamen die beiden gar nicht, vorher hätte ihn eine Gruppe von Leuten abgefangen, es seien bei der Begegnung eine Jolie („damals meine Freundin“) und eine Maja und eine Nora dabei gewesen und sechs Jungs, die ihn angreifen wollten, „und so“, da habe er sein Messer gezogen. Dem hauptsächlichen Angreifer, einem Pedro, habe er „erstmal Angst machen“ wollen, ihm aber „aus Versehen in den Rücken gestochen“. Eigentlich wollte er gar nicht zu der Party, „ich hatte keine Lust, hatte auch Kopfschmerzen und so, und mag nicht so Partys“.
Der Richter muss dem jungen Mann die Einzelheiten des Abends aus der Nase ziehen. Punkt für Punkt, Schritt für Schritt, Detail für Detail. Die Antworten bestehen aus wenigen Silben. Er erzählt, dass alles mit Beleidigungen gegen ihn angefangen habe. Dass diese Nora ihn unvermittelt geschlagen, ihm eine runtergehauen habe, „weil die halt besoffen war, und so“. Und dass sie ihn einen Hurensohn genannt, dass sie seine Mutter beleidigt habe. Daraufhin habe er Nora aufgefordert, „die Fresse“ zu halten. Und habe ihre (nicht anwesende) Schwester beleidigt. Woraufhin er von Nora die Ohrfeige erhalten habe – also nach den von ihm ausgestoßenen Beleidigungen, oder so. Dann hätten „fünf, sechs, sieben Jungs angefangen, mir Stress zu machen, und so, mich provoziert, halt, mich angegriffen, und so“.
Dann die Sache mit dem Messer. Das will er in einer Bauchtasche dabei gehabt und später in einem Gully entsorgt haben, „neben einem Spielplatz, ein bisschen weiter, halt, 200 oder 300 Meter“. Die Polizei fand die Tatwaffe nie. Mit dem Messer habe er seinen Kontrahenten „eigentlich nur piksen“ wollen. „Ich habe seinen Rücken getroffen, halt.“ Er habe dann noch gewartet, „bis der Krankenwagen gekommen ist, habe mich versteckt in einem Wald, kam aber zurück, weil ich dafür gerade stehen wollte, was ich gemacht habe“. Es folgte die Festnahme, als er Stunden später an den Tatort zurückkehrt.
Warum hat man ein Messer dabei, wenn man zu einer Party geht? Das interessiert den Vorsitzenden Richter am Landgericht. Eine schlüssige Antwort kann er dem jungen Mann nicht entlocken. Immerhin scheint Hussein L. zu wissen, was alles passieren kann, wenn man jemandem mit einem Messer in den Rücken sticht. Querschnittslähmung, Lunge oder Herz verletzt oder Wirbelsäule, das erarbeitet der 19-Jährige selbst. Aber ohne erkennbare Reue. Und mehr so theoretisch. Unbeteiligt.
Sein Werdegang: „Ich hab’ halt gekifft, einmal im Monat gekokst, und so“ – er durfte angeblich bei älteren Freunden mitmachen, im Alter von 15 habe das begonnen. Alkohol habe keine Rolle gespielt. Eine schulische Ausbildung auch nicht. Eine Förderschule besuchte er, allerdings ohne Abschluss. Offenbar gibt es intellektuelle Probleme, deutet der Richter an. Wegen Diebstahls sitzt Hussein L. seit 11. November 2024 in Jugendhaft. Zu neun Monaten wurde er verurteilt, das wird in die ihm nun drohende Strafe einbezogen werden. Sein Strafregister ist lang. „Das erste richtige Mal war mit 14“, erinnert sich der junge Mann. Damals baute er einen Unfall mit dem Auto der Eltern, richtete „einen großen Schaden“ an. Später kam ein geklautes Mountainbike hinzu, dann ein Einbruchdiebstahl „mit einem Kollegen“, schließlich drei weitere Diebstähle, daraufhin Haft. Heute sitzt er in Adelsheim, seine Familie besucht ihn nach seinen Worten zweimal im Monat. „Geh’ arbeiten, mach’ was“, sagten seine Eltern zu ihm. Die JVA biete viele Möglichkeiten, sagt der Richter, L. interessiert sich für so gut wie keine. Dass er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker packt, wie er einfließen lässt, das halten Verfahrensbeteiligte für zweifelhaft.
Einen rechtsmedizinischen und einen psychiatrischen Sachverständigen hat die Kammer geladen. Zudem eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. Der Rechtsmediziner interessiert sich sehr für die Tatwaffe, lässt sich die Größe des Messers – das ja nicht mehr aufgetaucht ist – von Hussein L. zeigen, misst den Abstand zwischen dessen Zeigefingern mit einem Meterstab nach, neun Zentimeter Klingenlänge. Und der Wissenschaftler will genau wissen, wie die Messerführung ablief, versucht selbst, es nachzustellen. Er will es in Einklang mit der neun Zentimeter tiefen Stichverletzung beim Opfer bringen. Das wird ein Licht auf die Glaubwürdigkeit von Hussein L. werfen.
Nervosität kommt bei dem Angeklagten auf, als sein mutmaßliches Opfer in den Saal gerufen wird. Der 17-jährige Pedro, derzeit auf der Suche nach Arbeit, ein schmächtiger junger Mann, er lebt in Blumberg. Er hatte Hussein L. damals auf dem Weg zur Party in Hüfingen als aggressiv, beleidigend und unter Drogeneinfluss stehend erlebt, seine Freunde hätten L. auch schon als jemanden angekündigt, der Stress machen werde, den man deshalb nicht auf der Party sehen wolle. Und tatsächlich: Hussein L. habe jene Nora beleidigt, habe deren Mutter als Hure bezeichnet. „Sein Benehmen war nicht das eines normalen Menschen“, sagt Pedro.
Eigentlich hätten sie Hussein L. einfach davon abhalten wollen, die Party zu besuchen. Deshalb seien sie ihm und seiner Freundin als Gruppe nachts noch entgegen gegangen. Man trifft sich draußen, an der Kirche in dem Hüfinger Ortsteil, dort eskaliert die Situation, als ihm eröffnet wird, dass er nicht willkommen ist.
Als sich der Streit zwischen L. und Nora zuspitzt, habe er das Mädchen verteidigen wollen, berichtet Pedro. Er habe L. verbal in die Schranken gewiesen („Halt die Fresse, krieg’ Dich wieder ein“), habe ihn „geschubst“. Daraufhin habe L. ihn angegriffen, berichtet der junge Mann, dem die Worte nur so herausfließen. L. habe ein Messer aus seiner Tasche geholt, es mit einem Klick aufgeklappt, habe dann in einer seitlichen Bewegung zugestochen. „Das war ein Schlag auf den Rücken.“ L. lässt von Pedro ab, der wendet sich an Maja, er habe was am Rücken gespürt. Ihm wurde kalt, das Atmen wurde schwerer, „ich bin fast umgefallen, ich war im Schock, ich habe mich hingesetzt, mich beruhigt.“ Er habe gespürt, dass am Rücken etwas feucht ist. Hussein L. habe noch vorgeschlagen, dass alle behaupten, dass sein Opfer in eine Glasscherbe gefallen sei. Sie hätten den Rettungswagen gerufen. Und L. sei verschwunden.
Vor dem Angreifer habe er heute noch Angst, dass er ihm was antun könne, wenn er aus dem Knast kommt, sagt Pedro. Eine Narbe hat er auf dem Rücken behalten, die störe ihn nicht, „ich bin stolz, dass ich das überlebt habe“. Schmerzensgeld will er keines, „das ist einfach Geld, ich brauche das nicht“. Auch eine Entschuldigung von Hussein L., der seine Tat als Fehler bezeichnet, akzeptiert Pedro nicht.
Für den Prozess sind vier Tage angesetzt. 13 Zeugen sind geladen. Das Urteil soll Mitte April gesprochen werden.